Reden im Landtag
Elisabeth Kula – Üppiges Konjunkturprogramm für Privatschulen: Besser öffentliche Schulen endlich zu den besten Schulen machen
In seiner 140. Plenarsitzung am 19. Juli 2023 diskutierte der Hessische Landtag über den Gesetzentwurf der Landesregierung in Zweiter Lesung zur Änderung des Ersatzschulfinanzierungsgesetzes. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Heute diskutieren wir in zweiter Lesung über die Novelle des Ersatzschulfinanzierungsgesetzes. Es geht also darum, in welcher Form das Land die privaten Ersatzschulen finanziert.
Ersatzschulen sind Privatschulen, die das gleiche Bildungsangebot garantieren wie öffentliche Schulen. Deswegen ist der Betrieb von Ersatzschulen in Deutschland grundgesetzlich garantiert. Gemäß Art. 7 Abs. 4 Grundgesetz bedarf der Betrieb einer Privatschule einer staatlichen Genehmigung. Auf diese hat der Betreiber einen Anspruch, wenn die Qualität der Privatschule der einer öffentlichen Schule gleichwertig ist. Dann haben die Privatschulen auch einen Anspruch auf öffentliche Finanzierung, die in Hessen über dieses Gesetz geregelt wird.
In Art. 7 Grundgesetz ist aber auch ein Sonderungsverbot festgeschrieben. Das besagt, dass Schulen, deren Praxis eine Auswahl der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern ermöglicht, keine Genehmigung erhalten dürfen. Das besagt im Übrigen auch Art. 61 der Hessischen Verfassung. Ob das Sonderungsverbot in Hessen aber auch wirklich überall eingehalten wird, wissen wir gar nicht genau; denn, ob die Ersatzschulen auch Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien in jedem Fall Ermäßigungen beim Schulgeld anbieten, die dazu führen, dass es sich jeder leisten kann, an einer solchen Schule unterrichtet zu werden, wird in Hessen nicht richtig kontrolliert. Alle drei Jahre müssen die Schulen im Rahmen einer Selbstauskunft selbst Angaben dazu machen, ob sie sich noch an die Regeln halten.
Aus der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage aus dem März letzten Jahres geht hervor, dass das Land gar nicht weiß, welches Schulgeld von den jeweiligen Privat- bzw. Ersatzschulen erhoben wird, geschweige denn, welche Ermäßigungen für Kinder aus einkommensschwachen Familien vorgesehen sind. Hier gibt es ein systematisches Desinteresse zulasten von benachteiligten Schülerinnen und Schülern.
Für uns als LINKE gilt: Bevor man noch mehr öffentliche Mittel für Privatschulen ausgeben will, muss man zunächst sicherstellen, dass das Sonderungsverbot überall in Hessen auch wirklich eingehalten wird.
(Beifall DIE LINKE)
Zur Realität gehört aber auch – das will ich ganz deutlich sagen –, dass Ersatzschulen nicht immer Schulen sind, die darauf abzielen, eine Elitenförderanstalt zu sein. Stattdessen übernehmen sie in Hessen durchaus auch wichtige Aufgaben, die das öffentliche Schulwesen aktuell nicht leistet, z. B. in Bereichen der Bilinguität oder auch der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen.
Auch werden an Ersatzschulen oft pädagogische Freiheiten ermöglicht, um bessere und modernere individuelle Förderung umsetzen zu können. Es gibt viele engagierte Lehrkräfte und Schulleitungen, die Kindern unabhängig von ihrer Herkunft die beste Bildung ermöglichen wollen.
Dennoch: Das Problem mit der Sonderung durch Privatschulen geht tiefer; die Höhe des Schulgeldes für die Schülerinnen und Schüler ist nicht alleine ausschlaggebend. Ich will das kurz darlegen: Die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler an Ersatzschulen weicht im Durchschnitt erheblich von der an öffentlichen Schulen ab. An Ersatzschulen finden sich sehr viel häufiger Schülerinnen und Schüler aus Elternhäusern mit hohem Einkommen und Vermögen. Einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge liegt das durchschnittliche Nettohaushaltseinkommen an Privatschulen bei rund 29.000 €, an öffentlichen Schulen hingegen bei 21.644 €. Während bei Privatschulen nur 9 % der Haushalte Sozialleistungen beziehen, sind es bei öffentlichen Schulen 20 %. Einen Migrationshintergrund haben 11 % der Kinder und Jugendlichen an Privatschulen; an öffentlichen Schulen hingegen sind es 23 %. Angesichts dieser Realität muss man feststellen, dass eine Sonderung im Durchschnitt stattfindet, auch wenn das vielleicht von den einzelnen Schulen überhaupt nicht gewollt wird.
Wenn man gleichzeitig feststellen muss, dass der Anteil an Schülerinnen und Schülern, die eine Privatschule besuchen, konstant ansteigt – in Hessen sind es mittlerweile über 7,3 % –, ist das wirklich ein Alarmsignal. Besonders in Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt gibt es einen regelrechten Privatschulboom. Den höchsten Anteil an Schülerinnen und Schülern gibt es an privaten Gymnasien und Förderschulen; aber insbesondere private Grundschulen sind in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen.
Dann muss sich die Landesregierung doch einmal fragen, woran es liegt, dass Privatschulen immer beliebter werden. Wenn immer mehr Eltern ihre Kinder auf private statt öffentliche Schulen schicken, ist das doch ein sehr schlechtes Zeugnis für den Kultusminister.
(Beifall DIE LINKE)
Dann muss man schon die Frage stellen, welche Prioritäten man als Landesregierung mit diesem Befund setzt. Sie wollen jetzt massiv in die Ersatzschulen investieren, mit insgesamt über 250 Millionen €; dazu kommen eine Dynamisierung der öffentlichen Mittel sowie eine zugesagte Förderung bei der Gründung von Privatschulen. Laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes müssen Ersatzschulen so ausfinanziert werden, dass sie betrieben werden können.
Aber ein solch hoher Aufwuchs der öffentlichen Mittel erfüllt hier nicht nur den Anspruch der Rechtsprechung, sondern geht eben weit darüber hinaus. Schon jetzt übersteigen tatsächlich die Pro-Kopf-Ausgaben in Gesamtdeutschland, aber auch in Hessen für Schülerinnen und Schüler an Privatschulen die Pro-Kopf-Ausgaben für die Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen. Da waren es nämlich laut Bildungsfinanzbericht im Jahr 2021 8.200 €, und dieser Wert wurde schon 2013 für Privatschulen erreicht, dürfte also mittlerweile auch ohne diese Erhöhung deutlich darüber liegen.
Wenn gleichzeitig die Einhaltung des Sonderungsverbotes nicht angemessen kontrolliert wird, ist Ihr Gesetzentwurf leider nichts weiter als ein Konjunkturprogramm für eine weitere soziale Spaltung im Schulsystem, und dem können wir als LINKE nicht zustimmen.
(Beifall DIE LINKE)
Als LINKE wollen wir die öffentlichen Schulen zu den besten machen. Wir wollen mit deutlich höheren Investitionen in Bildung dafür Sorge tragen, dass Eltern von Kindern mit besonderen Bedarfen oder Einschränkungen nicht mehr auf Ersatzschulen zurückgreifen, sondern dass vollkommen klar ist, dass das öffentliche Schulsystem für alle die erste Adresse für gute und inklusive Bildung ist und dass Bildungsungerechtigkeit, die durch Gesetze wie dieses zementiert wird, ein Thema von vorgestern ist.
(Beifall DIE LINKE)