Reden im Landtag
Elisabeth Kula – Aktuelle Stunde zur Bildungspolitik in Hessen
In seiner 144. Plenarsitzung am 21. September 2023 diskutierte der Hessische Landtag zur Aktuellen Stunde: „Lehrermangel, Unterrichtsausfall, marode Schulgebäude – Zeit für eine bessere Bildungspolitik in Hessen – Bildungswende jetzt". Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!
Ich weiß, meine Tochter würde unheimlich gerne mal in ein Musical gehen. Das kann ich ihr nicht erfüllen. Das ist nicht drin. Wir müssen jetzt erst zusehen, wie wir ein iPad kaufen. Da gibt es beim Teilhabepaket nicht einen Cent für. Ihre Klassenkameraden haben schon alle ein iPad. Sie ist die Einzige, die ohne geht. Sie hängt immer hinterher, und somit ist auch Bildung nicht gleich für alle Kinder. Kinder von armen Eltern haben kein Recht, ein Gymnasium zu besuchen. Denn man kann es sich nicht leisten.
Das sagte Andrea Zinhard. Sie ist arbeitsunfähig, bezieht Bürgergeld und war bei „Hart aber Fair“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, Sie hören es nicht gern, aber so sieht die Realität in diesem Land aus.
(Beifall DIE LINKE)
Kinder aus einkommensschwachen Haushalten bekommen seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium. Kinder aus Facharbeiterfamilien müssen deutlich besser lesen als Kinder aus Akademikerfamilien, um eine Gymnasialempfehlung zu bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einem Beamtenhaushalt eine solche Empfehlung bekommt, ist 2,5-mal höher als für ein Arbeiterkind. Das zeigt die letzte IGLU-Studie. Nur Bulgarien steht in der Vergleichsgruppe schlechter da als Deutschland, was den Zusammenhang von Herkunft und Leseleistung angeht – ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.
(Zuruf CDU: Nicht in Hessen!)
Das kann doch wirklich nicht wahr sein; und damit kann man sich nicht zufriedengeben, Herr Kultusminister.
Der Zugang zu den Mittel-, höheren und Hochschulen ist nur von der Eignung des Schülers abhängig zu machen.
Wo steht das drin? Nein, es steht nicht im linken Wahlprogramm; das steht in Art. 59 Abs. 2 der Hessischen Verfassung. Wo ist denn die selbst ernannte Verfassungspartei und Verteidigerin des Rechtsstaats, wenn es darum geht, unsere Hessische Verfassung auch wirklich umzusetzen, liebe CDU? Herr Kultusminister, in Ihrer Amtszeit ist die Schere in der Bildung immer weiter auseinandergegangen. Noch nie gingen so viele Schülerinnen und Schüler auf eine Privatschule. Gleichzeitig trifft der Unterrichtsausfall an den öffentlichen Schulen diejenigen besonders hart, die mehr Förderung und Unterstützung brauchen.
Einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge liegt das Nettohaushaltseinkommen an Privatschulen durchschnittlich bei 29.000 €, an öffentlichen Schulen hingegen bei 21.000 €. Während an Privatschulen nur 9 % der Haushalte Sozialleistungen beziehen, sind es an öffentlichen Schulen 20 %. Diese erheblichen Diskrepanzen sind ein Verstoß gegen das Sonderungsgebot, das sowohl im Grundgesetz als auch in der Hessischen Verfassung wie auch im Schulgesetz verankert ist, dessen Einhaltung von Ihnen überhaupt nicht überprüft wird. Auch hier scheinen Sie es mit der Verfassungstreue nicht so ernst zu nehmen, lieber Herr Kultusminister.
(Beifall DIE LINKE – J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Oh, oh, oh! – Gegenruf Jan Schalauske (DIE LINKE): Lesen Sie die Hessische Verfassung!)
Nicht nur die Herkunft und das Einkommen der Eltern entscheiden maßgeblich über den Bildungserfolg, sondern auch der Wohnort. Die Investitionen in unsere Schulgebäude variieren stark von Schulträger zu Schulträger. Die Investitionsausgaben sind höher, je mehr einkommensstarke Steuerpflichtige in einem Landkreis leben, und vice versa liegt die Spannweite zwischen 267 € pro Schüler in der Stadt Kassel und 1.444 € im Hochtaunuskreis. Das ist doch wahnwitzig, das müsste doch eigentlich genau umgekehrt sein: An den Orten, an denen viele benachteiligte Schülerinnen und Schüler leben, braucht es doch die bestausgestatteten Schulen, meine Damen und Herren.
(Beifall DIE LINKE – Zuruf J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU))
Jetzt haben Sie sogar ins Schulgesetz geschrieben, dass Tablets keine Lernmittel sein sollen. In Zukunft müssen Eltern digitale Lernmittel, die Tablets, selbst kaufen. Das ist doch etwas, was die Bildungsungleichheit weiter verschärft. Schule muss endlich anders gedacht werden und an den Schülerinnen und Schülern orientiert werden. Es reicht einfach nicht, jetzt nur mehr Lehrerinnen und Lehrer zu fordern. Es gehört weit mehr dazu. Die Mehrgliedrigkeit des Schulsystems ist antiquiert. Sie ist nicht auf individuelle Förderung, sondern auf Selektion ausgerichtet.
Kinder und Jugendliche werden bestmöglich gefördert, wenn sie gemeinsam, inklusiv in kleinen Lehrgruppen von der 1. bis zur 10. Klasse in einer echten Ganztagsschule lernen, die natürlich kostenfrei ist und alle Lernmittel, auch die digitalen Endgeräte, für alle zur Verfügung stellt, die ein kostenloses Mittagessen anbietet und auch ohne Hausaufgaben arbeitet; denn nach der Schule braucht es für die Kinder endlich wieder Zeit für Vereine und Hobbys. Nicht alle Eltern können die Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen, und nicht jeder kann es sich leisten, Kinder zur Nachhilfe zu schicken.
Deswegen: Es braucht endlich ein anderes Bildungssystem. Ja, wir stoßen diese Debatte an, um endlich Bewegung in dieses Bildungssystem zu bringen. Dafür braucht es auch Druck von unten. Deswegen haben wir auch gestern die Proteste unterstützt. Den Auftakt haben wir in Hessen gemacht, am 23. September geht es weiter. Ich glaube, Sie werden so lange nicht in Ruhe gelassen werden, wie Eltern und Lehrkräfte immer mehr einsehen, dass dieses Bildungssystem nicht mehr den Ansprüchen unserer modernen Zeit gerecht wird. – Vielen lieben Dank.
(Beifall DIE LINKE)