Reden im Landtag
Elisabeth Kula – Abgründe schwarzgrüner Innenpolitik sichtbar geworden – Hetze der AfD ist ein Konjunkturprogramm für rechten Terror
In seiner 143. Plenarsitzung diskutiert der Hessische Landtag am 20.09.2023 über die nötigen Konsequenzen aus dem Attentat in Hanau. Dazu in ihrer Rede die Fraktionsvorsitzende Elisabeth Kula.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!
„Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen“, das ist die Losung der Angehörigen und Überlebenden des Terrors vom 19. Februar 2020 in Hanau.
Dreieinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass ein rechter Terrorist in Hanau neun junge Menschen aus rassistischen Motiven ermordete. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov wurden Opfer des tödlichen Hasses eines Einzelnen. Aber der Anschlag in Hanau war kein Einzelfall. Der Boden, auf dem dieser rechte Hass gewachsen ist, wird seit Jahren durch Rassismus, Hetze und Stimmungsmache gegen Menschen mit Migrationshintergrund, Geflüchtete und andere Minderheiten von der AfD und rechten Kräften bereitet.
(Beifall DIE LINKE)
Zur Erinnerung: In den Jahren 2019 und 2020 fand die Debatte um Shishabars wie die Hanauer Midnight-Bar, die als Orte von Kriminalität dargestellt wurden, ihren Höhepunkt. Öffentlichkeitswirksam wurden polizeiliche Razzien in Shishabars von Innenministern begleitet, und die AfD hatte Shishabars bereits bundesweit auf ihrem rassistischen Radar.
Besonders widerlich äußerte sich der damalige hessische AfD-Abgeordnete Rainer Rahn nach dem Terror in Hanau. So sagte er:
Shishabars sind Orte, die vielen missfallen, mir übrigens auch. Wenn jemand permanent von so einer Einrichtung gestört wird, könnte das irgendwie auch zu einer solchen Tat beitragen.
Meine Damen und Herren, das ist blanker Rassismus, das lädt zu weiteren Gewalttaten ein, und man muss eindeutig sagen: Ja, die AfD, das ist ein Konjunkturprogramm für rechte Gewalt und rechten Terror.
(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Freie Demokraten)
Die erste Konsequenz – dafür braucht man gar keinen Abschlussbericht – aus dem NSU, der Ermordung von Walter Lübcke und Hanau muss doch sein, dieser Partei entschlossen entgegenzutreten und dafür zu sorgen, dass ihr Gedankengut nicht weiter salonfähig wird, und klare Kante gegen rechts zu zeigen. Stattdessen macht die CDU in Thüringen genau das Gegenteil. Sie kooperiert sogar mit dieser Partei.
(Zurufe CDU: Oh, oh, oh!)
Ihre Brandmauer gegen rechts ist so löchrig wie ein Maschendrahtzaun, meine Damen und Herren von der CDU.
(Beifall DIE LINKE und SPD)
Für Aufklärung darüber, welche möglichen Fehler die Sicherheitsbehörden vor, in und nach der Tatnacht gemacht haben, sollte der Untersuchungsausschuss im Landtag sorgen.
Wir müssen aber feststellen, dass die regierungstragenden Fraktionen – vor allem die CDU – nichts aus dem NSUUntersuchungsausschuss gelernt haben. Sie sahen ihre Aufgabe wohl im Wesentlichen darin, Missstände bei den Sicherheitsbehörden und Verfehlungen des Innenministers zu vertuschen und unter den Teppich zu kehren. Aber der Teppich war schlichtweg zu kurz. Dank der unermüdlichen Aufklärungsarbeit der Opposition, vor allem meiner Fraktion und der SPD, und dank des außerparlamentarischen Drucks der Überlebenden und Angehörigen konnten wir im Untersuchungsausschuss erneut in die Abgründe der Innenpolitik unter Peter Beuth in Hessen blicken.
(Zuruf Holger Bellino (CDU))
Heute wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, über die Arbeit des Untersuchungsausschusses ein Resümee zu ziehen. Aber anstatt den Abschlussbericht wie geplant vor der Landtagswahl zu veröffentlichen und politisch zu diskutieren, verschiebt die schwarz-grüne Koalition den Abschlussbericht auf die Zeit nach der Landtagswahl.
Ich finde, genau das war doch das wahltaktische Manöver. Ich finde, das ist unwürdig, das ist schäbig.
(Beifall DIE LINKE und SPD)
Denn der Untersuchungsausschuss hatte doch die Aufgabe, ein Behördenversagen öffentlich aufzuklären. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, umfassend zu erfahren, wo und wie die Polizei und andere hessische Behörden versagt haben.
Das ist doch ein erneuter Affront gegen die und eine weitere Demütigung der Angehörigen, denen gegenüber Sie sowieso ein unwürdiges Verhalten an den Tag gelegt haben. Dass sich der Innenminister – es wurde schon gesagt – bis heute nicht bei den Angehörigen und Überlebenden für die Fehler seiner Behörde entschuldigt hat, zeigt, dass ihm wirklich jeder politische Restanstand abhandengekommen ist, meine Damen und Herren.
(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)
Auch ohne Abschlussbericht ist inzwischen doch völlig klar geworden: Es gab eine lange Kette von Fehlern, Organisationsversagen, institutionellem Rassismus, vom nicht funktionierenden Notruf in der Polizeistation Hanau I über verschlossene Notausgänge bis hin zu Gefährderansprachen gegenüber den Überlebenden und Angehörigen – und bisher hat dafür niemand die politische Verantwortung übernommen. Jetzt will Schwarz-Grün auch noch verhindern, dass wir das vor der Wahl thematisieren. Das ist doch ein Offenbarungseid dieser Landesregierung und ein verheerendes gesellschaftspolitisches Signal an die Menschen, die Opfer von Rassismus und rassistischer Gewalt werden, meine Damen und Herren.
Im Kampf gegen rechts ist diese Landesregierung ein Totalausfall. Dass Peter Beuth wirklich bis zum Schluss im Amt geblieben ist und gehalten wurde, ist ein politischer Skandal. Das zeigt, dass die GRÜNEN in diesem Land ein Rückgrat aus Wackelpudding im Kampf gegen rechts haben. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
(Beifall DIE LINKE)
Dass der Untersuchungsausschuss und der Abschlussbericht jetzt zu wahltaktischen Manövern missbraucht werden, ist besonders bitter; denn der Untersuchungsausschuss hat Pionierarbeit geleistet. Er gründete wesentlich auf den Fragen der Überlebenden und Angehörigen. In seinen ersten Sitzungen räumte er den Erfahrungen, dem Wissen und den Perspektiven der Angehörigen einen breiten Raum ein. Das ist wegweisend für den Umgang mit den Opfern rechten Terrors. Die von den Überlebenden, Angehörigen und ihrem Umfeld, wie der Initiative 19. Februar Hanau, geleistete Aufklärungsarbeit ist ein unverzichtbarer beeindruckender Beitrag der Zivilgesellschaft, nicht nur zur Aufklärung der Geschehnisse von Hanau, sondern auch zum wirklich entschiedenen Kampf gegen rechts und gegen die Windmühlen aus diesem Innenministerium, meine Damen und Herren. – Danke an dieser Stelle noch einmal in diese Richtung.
(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)
Dass die Landesregierung, allen voran der Innenminister, bisher weder Lehren noch Konsequenzen aus den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses gezogen hat, zeigt der Umgang mit einer weiteren Gewalttat aus Hanau vom 20. Juni dieses Jahres. An diesem Tag wurde ein 23-Jähriger niedergeschossen, der den Kiosk in Kesselstadt betrieben hat, in dem am 19. Februar 2020 drei Menschen erschossen wurden. Das Brisante daran ist: Die Sicherheitsbehörden wurden zuvor vor dem mutmaßlichen Täter, einem 59-jährigen Österreicher, gewarnt, da sich dieser rassistisch geäußert hat und mit Waffen auf seinen SocialMedia-Kanälen posierte. Statt die Mahnungen der migrantischen jungen Menschen ernst zu nehmen, wurden diese noch von der Polizei in Hanau schikaniert und nicht ernst genommen.
Auf unsere Nachfrage im Innenausschuss versuchte der Innenminister dann noch, Zeugen als unglaubwürdig darzustellen, statt dem nachzugehen, wie es sein kann, dass erneut ein rassistischer Gewalttäter mit vielen Vorstrafen trotz Warnungen in Hanau einen jungen Mann schwer verletzen kann. Herr Beuth, Sie reden sehr viel von Sicherheit. Aber viele Menschen, die nicht weiß sind oder einen Migrationshintergrund haben, fühlen sich angesichts dessen wie Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse, wenn Warnungen nicht ernst genommen werden und sie von dieser perfiden Täter-Opfer-Umkehr betroffen sind. Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
(Beifall DIE LINKE)
Die Lehren und Konsequenzen aus Hanau werden nach Vorlage des Abschlussberichts im Dezember diskutiert.
Aus dem unmittelbaren Anschlagsgeschehen ziehen wir als Fraktion aber schon jetzt die folgenden politischen Konsequenzen:
Erstens. Die Behörden haben im Umgang mit den Angehörigen in der Tatnacht versagt. Sie wurden ignoriert und alleingelassen. Evaluierung der Ausbildung und Praxis bezüglich Opferschutz bei der Polizei sowie eine bessere langfristige finanzielle und soziale Absicherung von Opfern rechter Gewalt sind dringend nötig.
Zweitens. Im Bundesrat wird eine Initiative für ein effektives Waffenrecht gebraucht. Die Verfügbarkeit von tödlichen Schusswaffen in der Gesellschaft muss generell massiv und substanziell reduziert werden. Dazu gehört die vollständige Umstellung auf nicht tödliche Schusswaffen im Bereich des Schießsports; denn das Gefahrenpotenzial ist dort zu hoch.
Drittens. Wir fordern eine unabhängige Ermittlungsstelle, die Rassismus und rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden effektiv bekämpft. Die Tatsache, dass 13 der Frankfurter SEK-Beamten, die am Täterhaus eingesetzt waren, Mitglieder in einer Nazi-Chatgruppe waren, ist einer der Skandale rund um den Terroranschlag von Hanau.
Wir brauchen viertens langfristige Förderpläne für zivilgesellschaftliche Projekte, welche die Demokratie stärken und sich gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von Menschenfeindlichkeit einsetzen.
Erinnern, Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen müssen erkämpft werden – oft gegen Rassismus, ob in Behörden und in der Gesellschaft. Wir stehen an der Seite derjenigen, die dies tagtäglich tun: in den Schulen, am Arbeitsplatz oder auf der Straße und in der Initiative 19. Februar. Das ist unsere Lehre aus Hanau.
(Beifall DIE LINKE und Turgut Yüksel (SPD))