Meine Reden aus der letzten Plenarsitzung

Elisabeth Kula - Landesregierung ignoriert drängende Themen an Hochschulen

Fraktion im Hessischen LandtagAbgeordneteElisabeth KulaThemenBildungDigitalisierungFamilien-, Kinder- und JugendpolitkHaushalt und FinanzenKommunalesRegierung und Hessischer Landtag

In seiner 123. Plenarsitzung am 08. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässliches des Setzpunktes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu ihrem gemeinsamen Entschließungsantrag mit der Fraktion der CDU für "Vielfalt und Chancengerechtigkeit an den Hochschulen: Hessen braucht alle klugen und kreativen Köpfe". Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!

Ich muss schon zugeben, dass ich angesichts der aktuellen Situation der Hochschulen in der Energiekrise sehr überrascht über diesen aktuellen Setzpunkt und Jubelantrag bin, weil es gerade jetzt vielen Hochschulleitungen, Beschäftigten und Studierenden nicht unbedingt zum Jubeln zumute ist. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit werden in Hessen wieder Hörsäle besetzt. Studierende und Beschäftigte streiken, aber die Landesregierung bejubelt sich selbst. Ich weiß nicht, ob das in dieser Situation so das richtige Signal ist, aber das müssen Sie selbst wissen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich weiß auch nicht so genau, worauf Sie mit Ihrem Antrag jetzt hinauswollen. Er ist ein Sammelsurium und wirkt eher so, als wäre Hochschulpolitik wieder an der Reihe für einen Setzpunkt gewesen, unabhängig davon, ob wirklich eine nennenswerte Initiative der Landesregierung vorliegt oder nicht.

Leider greifen Sie die Themen, die an den Hochschulen gerade drängen, nur am Rande auf. Stattdessen loben Sie sich für die angeblich vorhandene Chancengerechtigkeit und für Ihre Hochschulfinanzierung.

Das ist angesichts der aktuellen Lage wirklich grotesk. Studierende bangen seit mittlerweile zwei Jahren um ihre Existenz, weil während der Corona-Zeit viele Nebenjobs weggefallen sind. Wegen der Schließung der Hochschulen müssen viele von ihnen länger studieren und wissen schlichtweg nicht mehr, wie sie das alles finanzieren sollen. Auf diese Situation kommt jetzt die Inflation noch obendrauf. Viele Studierende wissen einfach nicht mehr, wie sie ihr Essen und ihre Nebenkosten bezahlen sollen. Jetzt steigen auch noch die Mensapreise, weil die Studierendenwerke die Preissteigerungen weitergegeben haben und weil zu lange nicht gehandelt wurde. 30 % der Studierenden sind schon jetzt von Armut betroffen – Tendenz steigend. Viele brechen ihr Studium ab, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Was hat das alles mit Chancengerechtigkeit zu tun?

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke, relativ wenig – gerade jetzt, wo es die Studierenden hart trifft, die keine eigenen Rücklagen oder Eltern haben, die ihnen finanziell unter die Arme greifen können. Die 200 €, die es vom Bund gibt, die die Studierenden als Unterstützung in der Krise erhalten haben, sind wirklich nur Makulatur. Sie sind schnell weg. Die 200 € helfen den Studierenden also herzlich wenig. Apropos: Ich glaube, Hessen hat es bislang nicht geschafft, diese 200 € an die Studierenden auszuzahlen. Noch nicht einmal das ist in Hessen bei den Studierenden angekommen.

Auch die kleine BAföG-Reform auf der Bundesebene wird an der dramatischen Situation nichts ändern. Nur 11 % der Studierenden erhalten überhaupt noch BAföG. Als das BAföG in den Siebzigerjahren eingeführt wurde, hat fast die Hälfte aller Studierenden eine Förderung erhalten. Das Instrument war genau dafür gedacht, Ungerechtigkeiten im Bildungssystem abzumildern. Es muss deshalb doch besorgen, wenn die Quote der Geförderten so deutlich gesunken ist, parallel aber die Studierendenzahlen seit der Einführung des BAföG sich versechsfacht haben.

Marita Jacob von der Universität Köln, die die Auswirkungen des BAföG wissenschaftlich untersucht, nennt als Gründe, warum nur noch ein immer kleiner werdender Teil an Studierenden BAföG beantragt, vor allem die Befürchtung, die Eltern würden zu viel verdienen, und die Angst vor Verschuldung.

Nein, die mickrige Reform des BAföG der Ampelkoalition wird da leider keine Trendwende schaffen. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik prognostiziert, wie sich die Gefördertenquote bis ins Jahr 2026 entwickeln wird – mit und ohne BAföG-Reform. Laut dieser Prognose soll sie in vier Jahren bei 14,7 % liegen, ohne Reform läge sie bei 13,3 %. Das ist ein wirklich nur geringfügiger Anstieg um 1,4 Prozentpunkte – und das trotz Mehrfachkrise.

Wir sagen deutlich, es braucht auf der Bundesebene endlich eine große und echte Strukturreform des BAföG, die ja angekündigt ist. Von Ankündigungen kann aber niemand heizen oder sich etwas zu essen kaufen. Wenn Sie sich angesichts solcher Zahlen hierhin stellen und sich für die angebliche Chancengleichheit feiern, dann ist das geradezu grotesk. Machen Sie lieber Druck in Berlin, statt hier Luftschlösser zu bauen.

(Beifall DIE LINKE)

Auch in Hessen hängen der Bildungserfolg und die Frage, welche Bildungsabschlüsse erreicht werden, immer noch vom Einkommen und vom Bildungsgrad der Eltern ab. Von Chancengleichheit im Bildungssystem kann wirklich keine Rede sein, wenn Kinder schon nach der 4. Klasse auf Schulformen aufgeteilt werden, die den Rest ihrer Bildungslaufbahn bestimmen.

Am 1. Dezember haben wir in Hessen den Verfassungstag gefeiert. Aber statt die Verfassung nur zu feiern, lohnt es sich, wirklich einmal in die Verfassung zu schauen. Dort steht in Art. 59 Abs. 2 – ich darf zitieren –:

Der Zugang zu den Mittel-, höheren und Hochschulen ist nur von der Eignung des Schülers abhängig zu machen.

Wenn man sich anschaut, dass in Hessen im Jahre 2020 der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit nicht deutscher Staatsbürgerschaft auf Gymnasien bei 6,8 %, an Hauptschulen aber bei 21,3 % lag, dann sieht man, dass die Verfassung zwar an feierlichen Tagen vor sich hergetragen wird, die Politik in Hessen aber eine komplett andere Verfassungsrealität geschaffen hat.

Die Wege ins Studium sind in Hessen in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden. Das ist auch gut so. Aber von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem kann nun wirklich nicht gesprochen werden, wenn immer noch nur 8 % der Nichtakademikerkinder, aber 45 % der Akademikerkinder einen Masterabschluss machen. Wir sind da wirklich noch weit von Chancengerechtigkeit entfernt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wer Chancengerechtigkeit im hessischen Bildungssystem wirklich will, den muss es doch alarmieren, dass allein in Frankfurt 3.000 Studierende wohnungslos sind. Für ein WG-Zimmer in Frankfurt müssen Studis laut einem Vergleich der Mietpreise auf der Plattform „wg-gesucht.de“ mit Beträgen zwischen 260 und 830 € für ein 15-m²-Zimmer in einer Zehner-WG rechnen. Wer eine kleine Wohngemeinschaft mit maximal drei Bewohnern sucht, muss mit bis zu 1.500 € für ein 20-m²-Zimmer rechnen. Auch in Darmstadt stehen über 2.000 Studierende auf der Warteliste für einen Studierendenwohnheimplatz. Statt sich angesichts solcher Zahlen selbst zu sonnen, wäre es doch Zeit für Selbstkritik und ein Umsteuern in der Wohnungspolitik. (Beifall DIE LINKE)

Da ist auch Frau Dorn in der Pflicht. Die Studierendenwerke in Hessen können nämlich aktuell nur 7 % aller Studierenden ein Wohnungsangebot machen. Da sind wir von dem selbst erklärten Ziel der Landesregierung von 10 % deutlich entfernt – wir haben noch ungefähr ein Jahr bis zur Landtagswahl –, und wir liegen mit diesem Prozentsatz unter dem Bundesdurchschnitt. Schwarz-Grün regiert in Hessen seit fast neun Jahren, und deshalb tragen Sie für diese Situation die Verantwortung.

(Beifall DIE LINKE)

Auch für Ihre Hochschulfinanzierung sollten Sie sich nicht allzu laut feiern. Mit dem neuen Hochschulpakt gab es zwar Korrekturen in der Hochschulfinanzierung, die zu begrüßen sind – insbesondere kann man hier die Dynamisierung des Sockelbudgets, also der Grundfinanzierung, nennen –, aber der jährliche Anstieg der vom Land zugewiesenen Mittel um 4 % war schon vor der aktuellen Inflationsrate von 10 % zu gering, um das aufzuholen, was in der Hochschulfinanzierung lange schiefgelaufen ist. Jetzt, angesichts von Krieg, Krise und Inflation, sind diese 4 % einfach zu wenig, um die finanziellen Probleme an den Hochschulen zu lösen und darüber hinaus eine bessere Qualität in Studium und Lehre und bessere Arbeitsbedingungen endlich umzusetzen. Immer noch sind über 80 % der wissenschaftlich Beschäftigten an hessischen Hochschulen befristet beschäftigt. Der Kodex für gute Arbeit der Landesregierung, für den Sie sich ebenfalls gerne feiern, wurde weder in die Zielvereinbarung mit den Hochschulen noch in das Hochschulgesetz aufgenommen und ist somit leider nichts anderes als eine unverbindliche Selbstverpflichtung. Die zusätzlichen Mittel im Hochschulpakt werden doch schon lange durch Tarif- und Kostensteigerungen aufgefressen.

Aufgrund der steigenden Energiekosten werden schon jetzt Kürzungen in den Hochschulhaushalten angekündigt. Die Universität Frankfurt erwägt für 2023 eine Haushaltssperre von mindestens 6 % auf alle Budgets. Deswegen ist es ein zwar reichlich spät gekommenes, aber erst einmal gutes Signal, wenn jetzt, in der Krise, 40 Millionen € für die Hochschulen zur Verfügung stehen sollen. Ob die Mittel aber wirklich ausreichen, um Budgetkürzungen, Bibliotheksschließungen und kalte Hörsäle zu vermeiden, daran würde ich ein großes Fragezeichen machen. Auf jeden Fall muss die Abhängigkeit von Drittmitteln an den Hochschulen dauerhaft reduziert werden, und die Grundfinanzierung muss so auskömmlich gestaltet werden, dass gute Arbeitsbedingungen und die Qualität von Studium und Lehre an allen Hochschulen nicht länger Ausnahmen sind, sondern endlich die Regel werden.

Ich bleibe dabei: Ein derartiger Jubelantrag in einer so schwierigen sozialen Situation der Beschäftigten und Studierenden ist absolut deplatziert. Ja, es gab trotz der Krise bisher keine Verschlechterung in der Hochschulfinanzierung – dafür hat sich die Ministerin in dieser Woche schon gefeiert –; aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, wenn man immer von der Exzellenz und der Qualität der hessischen Hochschulen spricht und sich dafür feiert, dass man keine Verschlechterungen durchsetzt. Finanzieren Sie die Hochschulen ordentlich aus, unterstützen Sie die Studierenden in der Krise, schaffen Sie genug Wohnraum, dann wäre ein Feiern wirklich angebracht.

(Beifall DIE LINKE)

Aktuelle Pressemeldungen

Elisabeth Kula - Landesregierung ignoriert drängende Themen an Hochschulen

Fraktion im Hessischen LandtagAbgeordneteElisabeth KulaThemenBildungDigitalisierungFamilien-, Kinder- und JugendpolitkHaushalt und FinanzenKommunalesRegierung und Hessischer Landtag

In seiner 123. Plenarsitzung am 08. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässliches des Setzpunktes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu ihrem gemeinsamen Entschließungsantrag mit der Fraktion der CDU für "Vielfalt und Chancengerechtigkeit an den Hochschulen: Hessen braucht alle klugen und kreativen Köpfe". Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!

Ich muss schon zugeben, dass ich angesichts der aktuellen Situation der Hochschulen in der Energiekrise sehr überrascht über diesen aktuellen Setzpunkt und Jubelantrag bin, weil es gerade jetzt vielen Hochschulleitungen, Beschäftigten und Studierenden nicht unbedingt zum Jubeln zumute ist. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit werden in Hessen wieder Hörsäle besetzt. Studierende und Beschäftigte streiken, aber die Landesregierung bejubelt sich selbst. Ich weiß nicht, ob das in dieser Situation so das richtige Signal ist, aber das müssen Sie selbst wissen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich weiß auch nicht so genau, worauf Sie mit Ihrem Antrag jetzt hinauswollen. Er ist ein Sammelsurium und wirkt eher so, als wäre Hochschulpolitik wieder an der Reihe für einen Setzpunkt gewesen, unabhängig davon, ob wirklich eine nennenswerte Initiative der Landesregierung vorliegt oder nicht.

Leider greifen Sie die Themen, die an den Hochschulen gerade drängen, nur am Rande auf. Stattdessen loben Sie sich für die angeblich vorhandene Chancengerechtigkeit und für Ihre Hochschulfinanzierung.

Das ist angesichts der aktuellen Lage wirklich grotesk. Studierende bangen seit mittlerweile zwei Jahren um ihre Existenz, weil während der Corona-Zeit viele Nebenjobs weggefallen sind. Wegen der Schließung der Hochschulen müssen viele von ihnen länger studieren und wissen schlichtweg nicht mehr, wie sie das alles finanzieren sollen. Auf diese Situation kommt jetzt die Inflation noch obendrauf. Viele Studierende wissen einfach nicht mehr, wie sie ihr Essen und ihre Nebenkosten bezahlen sollen. Jetzt steigen auch noch die Mensapreise, weil die Studierendenwerke die Preissteigerungen weitergegeben haben und weil zu lange nicht gehandelt wurde. 30 % der Studierenden sind schon jetzt von Armut betroffen – Tendenz steigend. Viele brechen ihr Studium ab, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Was hat das alles mit Chancengerechtigkeit zu tun?

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke, relativ wenig – gerade jetzt, wo es die Studierenden hart trifft, die keine eigenen Rücklagen oder Eltern haben, die ihnen finanziell unter die Arme greifen können. Die 200 €, die es vom Bund gibt, die die Studierenden als Unterstützung in der Krise erhalten haben, sind wirklich nur Makulatur. Sie sind schnell weg. Die 200 € helfen den Studierenden also herzlich wenig. Apropos: Ich glaube, Hessen hat es bislang nicht geschafft, diese 200 € an die Studierenden auszuzahlen. Noch nicht einmal das ist in Hessen bei den Studierenden angekommen.

Auch die kleine BAföG-Reform auf der Bundesebene wird an der dramatischen Situation nichts ändern. Nur 11 % der Studierenden erhalten überhaupt noch BAföG. Als das BAföG in den Siebzigerjahren eingeführt wurde, hat fast die Hälfte aller Studierenden eine Förderung erhalten. Das Instrument war genau dafür gedacht, Ungerechtigkeiten im Bildungssystem abzumildern. Es muss deshalb doch besorgen, wenn die Quote der Geförderten so deutlich gesunken ist, parallel aber die Studierendenzahlen seit der Einführung des BAföG sich versechsfacht haben.

Marita Jacob von der Universität Köln, die die Auswirkungen des BAföG wissenschaftlich untersucht, nennt als Gründe, warum nur noch ein immer kleiner werdender Teil an Studierenden BAföG beantragt, vor allem die Befürchtung, die Eltern würden zu viel verdienen, und die Angst vor Verschuldung.

Nein, die mickrige Reform des BAföG der Ampelkoalition wird da leider keine Trendwende schaffen. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik prognostiziert, wie sich die Gefördertenquote bis ins Jahr 2026 entwickeln wird – mit und ohne BAföG-Reform. Laut dieser Prognose soll sie in vier Jahren bei 14,7 % liegen, ohne Reform läge sie bei 13,3 %. Das ist ein wirklich nur geringfügiger Anstieg um 1,4 Prozentpunkte – und das trotz Mehrfachkrise.

Wir sagen deutlich, es braucht auf der Bundesebene endlich eine große und echte Strukturreform des BAföG, die ja angekündigt ist. Von Ankündigungen kann aber niemand heizen oder sich etwas zu essen kaufen. Wenn Sie sich angesichts solcher Zahlen hierhin stellen und sich für die angebliche Chancengleichheit feiern, dann ist das geradezu grotesk. Machen Sie lieber Druck in Berlin, statt hier Luftschlösser zu bauen.

(Beifall DIE LINKE)

Auch in Hessen hängen der Bildungserfolg und die Frage, welche Bildungsabschlüsse erreicht werden, immer noch vom Einkommen und vom Bildungsgrad der Eltern ab. Von Chancengleichheit im Bildungssystem kann wirklich keine Rede sein, wenn Kinder schon nach der 4. Klasse auf Schulformen aufgeteilt werden, die den Rest ihrer Bildungslaufbahn bestimmen.

Am 1. Dezember haben wir in Hessen den Verfassungstag gefeiert. Aber statt die Verfassung nur zu feiern, lohnt es sich, wirklich einmal in die Verfassung zu schauen. Dort steht in Art. 59 Abs. 2 – ich darf zitieren –:

Der Zugang zu den Mittel-, höheren und Hochschulen ist nur von der Eignung des Schülers abhängig zu machen.

Wenn man sich anschaut, dass in Hessen im Jahre 2020 der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit nicht deutscher Staatsbürgerschaft auf Gymnasien bei 6,8 %, an Hauptschulen aber bei 21,3 % lag, dann sieht man, dass die Verfassung zwar an feierlichen Tagen vor sich hergetragen wird, die Politik in Hessen aber eine komplett andere Verfassungsrealität geschaffen hat.

Die Wege ins Studium sind in Hessen in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden. Das ist auch gut so. Aber von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem kann nun wirklich nicht gesprochen werden, wenn immer noch nur 8 % der Nichtakademikerkinder, aber 45 % der Akademikerkinder einen Masterabschluss machen. Wir sind da wirklich noch weit von Chancengerechtigkeit entfernt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wer Chancengerechtigkeit im hessischen Bildungssystem wirklich will, den muss es doch alarmieren, dass allein in Frankfurt 3.000 Studierende wohnungslos sind. Für ein WG-Zimmer in Frankfurt müssen Studis laut einem Vergleich der Mietpreise auf der Plattform „wg-gesucht.de“ mit Beträgen zwischen 260 und 830 € für ein 15-m²-Zimmer in einer Zehner-WG rechnen. Wer eine kleine Wohngemeinschaft mit maximal drei Bewohnern sucht, muss mit bis zu 1.500 € für ein 20-m²-Zimmer rechnen. Auch in Darmstadt stehen über 2.000 Studierende auf der Warteliste für einen Studierendenwohnheimplatz. Statt sich angesichts solcher Zahlen selbst zu sonnen, wäre es doch Zeit für Selbstkritik und ein Umsteuern in der Wohnungspolitik. (Beifall DIE LINKE)

Da ist auch Frau Dorn in der Pflicht. Die Studierendenwerke in Hessen können nämlich aktuell nur 7 % aller Studierenden ein Wohnungsangebot machen. Da sind wir von dem selbst erklärten Ziel der Landesregierung von 10 % deutlich entfernt – wir haben noch ungefähr ein Jahr bis zur Landtagswahl –, und wir liegen mit diesem Prozentsatz unter dem Bundesdurchschnitt. Schwarz-Grün regiert in Hessen seit fast neun Jahren, und deshalb tragen Sie für diese Situation die Verantwortung.

(Beifall DIE LINKE)

Auch für Ihre Hochschulfinanzierung sollten Sie sich nicht allzu laut feiern. Mit dem neuen Hochschulpakt gab es zwar Korrekturen in der Hochschulfinanzierung, die zu begrüßen sind – insbesondere kann man hier die Dynamisierung des Sockelbudgets, also der Grundfinanzierung, nennen –, aber der jährliche Anstieg der vom Land zugewiesenen Mittel um 4 % war schon vor der aktuellen Inflationsrate von 10 % zu gering, um das aufzuholen, was in der Hochschulfinanzierung lange schiefgelaufen ist. Jetzt, angesichts von Krieg, Krise und Inflation, sind diese 4 % einfach zu wenig, um die finanziellen Probleme an den Hochschulen zu lösen und darüber hinaus eine bessere Qualität in Studium und Lehre und bessere Arbeitsbedingungen endlich umzusetzen. Immer noch sind über 80 % der wissenschaftlich Beschäftigten an hessischen Hochschulen befristet beschäftigt. Der Kodex für gute Arbeit der Landesregierung, für den Sie sich ebenfalls gerne feiern, wurde weder in die Zielvereinbarung mit den Hochschulen noch in das Hochschulgesetz aufgenommen und ist somit leider nichts anderes als eine unverbindliche Selbstverpflichtung. Die zusätzlichen Mittel im Hochschulpakt werden doch schon lange durch Tarif- und Kostensteigerungen aufgefressen.

Aufgrund der steigenden Energiekosten werden schon jetzt Kürzungen in den Hochschulhaushalten angekündigt. Die Universität Frankfurt erwägt für 2023 eine Haushaltssperre von mindestens 6 % auf alle Budgets. Deswegen ist es ein zwar reichlich spät gekommenes, aber erst einmal gutes Signal, wenn jetzt, in der Krise, 40 Millionen € für die Hochschulen zur Verfügung stehen sollen. Ob die Mittel aber wirklich ausreichen, um Budgetkürzungen, Bibliotheksschließungen und kalte Hörsäle zu vermeiden, daran würde ich ein großes Fragezeichen machen. Auf jeden Fall muss die Abhängigkeit von Drittmitteln an den Hochschulen dauerhaft reduziert werden, und die Grundfinanzierung muss so auskömmlich gestaltet werden, dass gute Arbeitsbedingungen und die Qualität von Studium und Lehre an allen Hochschulen nicht länger Ausnahmen sind, sondern endlich die Regel werden.

Ich bleibe dabei: Ein derartiger Jubelantrag in einer so schwierigen sozialen Situation der Beschäftigten und Studierenden ist absolut deplatziert. Ja, es gab trotz der Krise bisher keine Verschlechterung in der Hochschulfinanzierung – dafür hat sich die Ministerin in dieser Woche schon gefeiert –; aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, wenn man immer von der Exzellenz und der Qualität der hessischen Hochschulen spricht und sich dafür feiert, dass man keine Verschlechterungen durchsetzt. Finanzieren Sie die Hochschulen ordentlich aus, unterstützen Sie die Studierenden in der Krise, schaffen Sie genug Wohnraum, dann wäre ein Feiern wirklich angebracht.

(Beifall DIE LINKE)

Von Menschenrechten, Papierschiffchen und der Überzeugung zu den Guten zu gehören

Heute fand eine Debatte im Hessischen Landtag statt, die auf vielfältige Art und Weise gesellschaftliche Realitäten, Mehrheitsverhältnisse und Einblicke in politische und psychologische Verarbeitungsprozesse offenlegte. Als Linksfraktion haben wir einen Antrag mit dem Thema der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und der hessischen Flüchtlingspolitik zum Setzpunkt gemacht – schließlich ist Innenministerin Nancy Faeser, die die GEAS-Reform mit vorangebracht hat, auch Spitzenkandidatin der hessischen SPD. Jüngste Abschiebefälle aus Hessen, wie der von Mustafa Kal, dem kurdischstämmigen 19-jährigen Bäckerlehrling im zweiten Lehrjahr, der in den Räumen des Kasseler Rathauses festgenommen und nach Frankfurt zum Flughafen deportiert und abgeschoben worden war, zeigen, dass der Skandal-Innenminister Beuth alle Spielräume ausnutzt, um Geflüchteten das Leben möglichst schwer zu machen.

Auf Europäischer Ebene geht es hauptsächlich um Abschottung und Entrechtung von Geflüchteten, in Hessen darum wie man die Geflüchteten, die es hier her schaffen, wieder los werden kann. Diese Entwicklung hin zur weiteren Aushöhlung des Menschenrechts auf Asyl auf allen politischen Ebenen, auch auf Grund des Aufstiegs der europäischen extremen Rechten, haben wir im Landtag zum Thema gemacht. Die Debatte, die im Landtag zu unserem Setzpunkt folgte, stellt aber einen denkwürdigen parlamentarischen Tiefpunkt dar. Sie zeugte von Unkenntnissen und Leugnungen über die Beschlüsse des Europäischen Rates zur GEAS-Reform und deren Auswirkungen.

Die Redner:innen von SPD und Grünen verbreiteten zum großen Teil die gleichen Desinformationen zu GEAS wie Bundesinnenministerin Faeser und Außenministerin Baerbock.  

So wurde von der SPD-Rednerin behauptet, niemand wolle Menschen in Lager stecken. Der Grünen-Redner, ihr Fraktionsvorsitzener Matthias Wagner, versuchte bemüht nachdenklich zu argumentieren, man habe sich ja schwer getan, und ein historischer Erfolg, wie Faeser die Reform nannte, sei sie nun auch nicht, aber es habe eben eine europäische Reform gebraucht, ansonsten sei ja der Schengenraum und das das europäische Asylsystem generell in Gefahr, deswegen habe dann auch Annalena Baerbock zustimmen müssen. Von beiden Fraktionen kam außerdem die Behauptung, die Bedingungen in den Hotspot-Lagern würden sich durch die Reform verbessern und EU-Staaten würden verpflichtet werden, Geflüchtete aufzunehmen.

Nichts davon stimmt – zumindest fast. Einige Argumente sind nur Schutzbehauptungen oder irreleitend. Die massive Ahnungslosigkeit oder bewusste Desinformation kennt man ansonsten nur von der rechten politischen Seite. Es scheint so als müssten sich die Abgeordneten von SPD und Grünen selbst versichern: Wir sind die Guten! Und: Es kann nicht sein was nicht sein darf! Es ist nicht möglich, dass wir dafür wirklich Verantwortung tragen sollen, dass in Zukunft noch mehr Menschen, auch Kinder, und Geflüchtete aus Kriegsgebieten, in haftähnlichen Bedingungen an den europäischen Außengrenzen eingesperrt werden sollen.

Dabei ist es genau das: ProAsyl, Flüchtlingsrat und andere Expert:innen beten die Folgen der GEAS-Reform seit Wochen rauf und runter. Sie stellt einen Pakt mit den rechten Kräften Europas dar, und ist eine Verschlechterung für die Menschenrechte als der sowieso katastrophale Status-Quo. Mit GEAS werden die Lager und die Schnellverfahren verrechtlicht.

Aber Europäische Gesetzgebung und Europäisches Recht wird von SPD und Grünen nur sehr selektiv wahrgenommen. Dass es jetzt schon Verteilungsmechanismen und Verpflichtungen zur Qualität der Unterbringung in den Hotspots gibt, die aber schlichtweg nicht eingehalten werden, wird ignoriert. Man will sich naiv an den Glauben klammern, dass mit den von ihnen mitgetragenen Reformen es doch irgendwie besser werden muss weil man sich doch jetzt auf bessere Standards geeinigt habe.

Diese Realitätsverweigerung, damit man sich weiterhin zu den Guten zählen kann, ist schwer erträglich und wirft die Frage auf, wann man überhaupt noch faktenbasiert diskutieren kann.

Der Versuch der AfD-Rassist:innen und Chauvinisten, Waffenlieferungen und Fluchtursachen zu kritisieren wird natürlich durch die militaristische und nationalistische Grundhaltung der Partei ad absurdum geführt. Ist es doch die AfD, die die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umbauen lassen will und gleichzeitig andere Fluchtursachen wie den Klimawandel permanent leugnet.

Perfiderweise hat nicht die braun-blaue AfD den bösartigsten Redebeitrag in der Debatte gehalten, sondern die regierungstragende CDU-Fraktion. Der schlimmste Redebeitrag kam mit Abstand von CDU-Abgeordneten Hering, der in rechtspopulistischer Manier die Einwanderung in die Sozialsysteme durch Geflüchtete beklagte, die Grenzen der Aufnahmekapazität beschwor und die vermeintliche Mehrheitsmeinung der Bevölkerung ins Feld zog, nach der man sich doch richten müsse. Abgesehen davon, dass es auch einen relevanten Teil der Gesellschaft gibt, die Angst vor dem Rechtsruck, vor der Übernahme rechter Inhalte und Politik durch Konservative und die selbsternannte politische Mitte haben, hat diese Rede alle Kriterien einer aufhetzenden und Ressentiment-schürenden Stimmungsmache erfüllt. Die Merz-CDU auf dem strammen Weg nach rechts - auch in Hessen. Die Grünen saßen als Koalitionspartner etwas peinlich berührt daneben – Kontra gab es aber nicht, schließlich will man diese Koalition um jeden Preis bis ans Ende der Legislatur weiterführen. Eine SPD-Abgeordnete wies den CDU-Abgeordneten zur Raison und rügte seine Wortwahl, aber nicht ohne anschließend wieder die gleichen Mythen zur GEAS-Reform zu verbreiten – schließlich sind sie ja die Guten!   

Landespolitische Themen spielten in der Debatte kaum eine Rolle, zu emotional die Diskussion um Asylrecht der EU. Richtig empört wurde der parlamentarische Geschäftsführer der CDU erst dann, als am Ende der Debatte klar wurde, dass die kleinen orangenen Papierschiffchen, die wir gebastelt und vor uns aufgestellt haben, fotografiert und die Fotos ins Internet gestellt wurden. Ein brutaler Angriff auf die Innenministerin sei das. Nun denn – wenn das Aufstellen und Fotografieren von Papierschiffchen als brutaler angesehen wird und für mehr Aufregung sorgt als das massenhafte und bewusste Sterbenlassen von Menschen im Mittelmeer und an Europas Grenzen – dann kann sich die AfD auf die rechte Schulter klopfen. Die Dammbrüche gegen das Recht auf Asyl  und die zunehmende Entrechtung geflüchteter Menschen treiben auch im Hessischen Landtag Blüten. Von der CDU kann man keine Brandmauer erwarten. SPD und Grüne werden den nötigen Realitätscheck bekommen. Nämlich dann wenn sie beklagen, dass noch mehr Menschen auf der Flucht nach Europa ihr Leben lassen mussten.

 

 

 

Aktuelle parlamentarische Initiativen

Elisabeth Kula - Landesregierung ignoriert drängende Themen an Hochschulen

Fraktion im Hessischen LandtagAbgeordneteElisabeth KulaThemenBildungDigitalisierungFamilien-, Kinder- und JugendpolitkHaushalt und FinanzenKommunalesRegierung und Hessischer Landtag

In seiner 123. Plenarsitzung am 08. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässliches des Setzpunktes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu ihrem gemeinsamen Entschließungsantrag mit der Fraktion der CDU für "Vielfalt und Chancengerechtigkeit an den Hochschulen: Hessen braucht alle klugen und kreativen Köpfe". Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!

Ich muss schon zugeben, dass ich angesichts der aktuellen Situation der Hochschulen in der Energiekrise sehr überrascht über diesen aktuellen Setzpunkt und Jubelantrag bin, weil es gerade jetzt vielen Hochschulleitungen, Beschäftigten und Studierenden nicht unbedingt zum Jubeln zumute ist. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit werden in Hessen wieder Hörsäle besetzt. Studierende und Beschäftigte streiken, aber die Landesregierung bejubelt sich selbst. Ich weiß nicht, ob das in dieser Situation so das richtige Signal ist, aber das müssen Sie selbst wissen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich weiß auch nicht so genau, worauf Sie mit Ihrem Antrag jetzt hinauswollen. Er ist ein Sammelsurium und wirkt eher so, als wäre Hochschulpolitik wieder an der Reihe für einen Setzpunkt gewesen, unabhängig davon, ob wirklich eine nennenswerte Initiative der Landesregierung vorliegt oder nicht.

Leider greifen Sie die Themen, die an den Hochschulen gerade drängen, nur am Rande auf. Stattdessen loben Sie sich für die angeblich vorhandene Chancengerechtigkeit und für Ihre Hochschulfinanzierung.

Das ist angesichts der aktuellen Lage wirklich grotesk. Studierende bangen seit mittlerweile zwei Jahren um ihre Existenz, weil während der Corona-Zeit viele Nebenjobs weggefallen sind. Wegen der Schließung der Hochschulen müssen viele von ihnen länger studieren und wissen schlichtweg nicht mehr, wie sie das alles finanzieren sollen. Auf diese Situation kommt jetzt die Inflation noch obendrauf. Viele Studierende wissen einfach nicht mehr, wie sie ihr Essen und ihre Nebenkosten bezahlen sollen. Jetzt steigen auch noch die Mensapreise, weil die Studierendenwerke die Preissteigerungen weitergegeben haben und weil zu lange nicht gehandelt wurde. 30 % der Studierenden sind schon jetzt von Armut betroffen – Tendenz steigend. Viele brechen ihr Studium ab, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Was hat das alles mit Chancengerechtigkeit zu tun?

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke, relativ wenig – gerade jetzt, wo es die Studierenden hart trifft, die keine eigenen Rücklagen oder Eltern haben, die ihnen finanziell unter die Arme greifen können. Die 200 €, die es vom Bund gibt, die die Studierenden als Unterstützung in der Krise erhalten haben, sind wirklich nur Makulatur. Sie sind schnell weg. Die 200 € helfen den Studierenden also herzlich wenig. Apropos: Ich glaube, Hessen hat es bislang nicht geschafft, diese 200 € an die Studierenden auszuzahlen. Noch nicht einmal das ist in Hessen bei den Studierenden angekommen.

Auch die kleine BAföG-Reform auf der Bundesebene wird an der dramatischen Situation nichts ändern. Nur 11 % der Studierenden erhalten überhaupt noch BAföG. Als das BAföG in den Siebzigerjahren eingeführt wurde, hat fast die Hälfte aller Studierenden eine Förderung erhalten. Das Instrument war genau dafür gedacht, Ungerechtigkeiten im Bildungssystem abzumildern. Es muss deshalb doch besorgen, wenn die Quote der Geförderten so deutlich gesunken ist, parallel aber die Studierendenzahlen seit der Einführung des BAföG sich versechsfacht haben.

Marita Jacob von der Universität Köln, die die Auswirkungen des BAföG wissenschaftlich untersucht, nennt als Gründe, warum nur noch ein immer kleiner werdender Teil an Studierenden BAföG beantragt, vor allem die Befürchtung, die Eltern würden zu viel verdienen, und die Angst vor Verschuldung.

Nein, die mickrige Reform des BAföG der Ampelkoalition wird da leider keine Trendwende schaffen. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik prognostiziert, wie sich die Gefördertenquote bis ins Jahr 2026 entwickeln wird – mit und ohne BAföG-Reform. Laut dieser Prognose soll sie in vier Jahren bei 14,7 % liegen, ohne Reform läge sie bei 13,3 %. Das ist ein wirklich nur geringfügiger Anstieg um 1,4 Prozentpunkte – und das trotz Mehrfachkrise.

Wir sagen deutlich, es braucht auf der Bundesebene endlich eine große und echte Strukturreform des BAföG, die ja angekündigt ist. Von Ankündigungen kann aber niemand heizen oder sich etwas zu essen kaufen. Wenn Sie sich angesichts solcher Zahlen hierhin stellen und sich für die angebliche Chancengleichheit feiern, dann ist das geradezu grotesk. Machen Sie lieber Druck in Berlin, statt hier Luftschlösser zu bauen.

(Beifall DIE LINKE)

Auch in Hessen hängen der Bildungserfolg und die Frage, welche Bildungsabschlüsse erreicht werden, immer noch vom Einkommen und vom Bildungsgrad der Eltern ab. Von Chancengleichheit im Bildungssystem kann wirklich keine Rede sein, wenn Kinder schon nach der 4. Klasse auf Schulformen aufgeteilt werden, die den Rest ihrer Bildungslaufbahn bestimmen.

Am 1. Dezember haben wir in Hessen den Verfassungstag gefeiert. Aber statt die Verfassung nur zu feiern, lohnt es sich, wirklich einmal in die Verfassung zu schauen. Dort steht in Art. 59 Abs. 2 – ich darf zitieren –:

Der Zugang zu den Mittel-, höheren und Hochschulen ist nur von der Eignung des Schülers abhängig zu machen.

Wenn man sich anschaut, dass in Hessen im Jahre 2020 der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit nicht deutscher Staatsbürgerschaft auf Gymnasien bei 6,8 %, an Hauptschulen aber bei 21,3 % lag, dann sieht man, dass die Verfassung zwar an feierlichen Tagen vor sich hergetragen wird, die Politik in Hessen aber eine komplett andere Verfassungsrealität geschaffen hat.

Die Wege ins Studium sind in Hessen in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden. Das ist auch gut so. Aber von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem kann nun wirklich nicht gesprochen werden, wenn immer noch nur 8 % der Nichtakademikerkinder, aber 45 % der Akademikerkinder einen Masterabschluss machen. Wir sind da wirklich noch weit von Chancengerechtigkeit entfernt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wer Chancengerechtigkeit im hessischen Bildungssystem wirklich will, den muss es doch alarmieren, dass allein in Frankfurt 3.000 Studierende wohnungslos sind. Für ein WG-Zimmer in Frankfurt müssen Studis laut einem Vergleich der Mietpreise auf der Plattform „wg-gesucht.de“ mit Beträgen zwischen 260 und 830 € für ein 15-m²-Zimmer in einer Zehner-WG rechnen. Wer eine kleine Wohngemeinschaft mit maximal drei Bewohnern sucht, muss mit bis zu 1.500 € für ein 20-m²-Zimmer rechnen. Auch in Darmstadt stehen über 2.000 Studierende auf der Warteliste für einen Studierendenwohnheimplatz. Statt sich angesichts solcher Zahlen selbst zu sonnen, wäre es doch Zeit für Selbstkritik und ein Umsteuern in der Wohnungspolitik. (Beifall DIE LINKE)

Da ist auch Frau Dorn in der Pflicht. Die Studierendenwerke in Hessen können nämlich aktuell nur 7 % aller Studierenden ein Wohnungsangebot machen. Da sind wir von dem selbst erklärten Ziel der Landesregierung von 10 % deutlich entfernt – wir haben noch ungefähr ein Jahr bis zur Landtagswahl –, und wir liegen mit diesem Prozentsatz unter dem Bundesdurchschnitt. Schwarz-Grün regiert in Hessen seit fast neun Jahren, und deshalb tragen Sie für diese Situation die Verantwortung.

(Beifall DIE LINKE)

Auch für Ihre Hochschulfinanzierung sollten Sie sich nicht allzu laut feiern. Mit dem neuen Hochschulpakt gab es zwar Korrekturen in der Hochschulfinanzierung, die zu begrüßen sind – insbesondere kann man hier die Dynamisierung des Sockelbudgets, also der Grundfinanzierung, nennen –, aber der jährliche Anstieg der vom Land zugewiesenen Mittel um 4 % war schon vor der aktuellen Inflationsrate von 10 % zu gering, um das aufzuholen, was in der Hochschulfinanzierung lange schiefgelaufen ist. Jetzt, angesichts von Krieg, Krise und Inflation, sind diese 4 % einfach zu wenig, um die finanziellen Probleme an den Hochschulen zu lösen und darüber hinaus eine bessere Qualität in Studium und Lehre und bessere Arbeitsbedingungen endlich umzusetzen. Immer noch sind über 80 % der wissenschaftlich Beschäftigten an hessischen Hochschulen befristet beschäftigt. Der Kodex für gute Arbeit der Landesregierung, für den Sie sich ebenfalls gerne feiern, wurde weder in die Zielvereinbarung mit den Hochschulen noch in das Hochschulgesetz aufgenommen und ist somit leider nichts anderes als eine unverbindliche Selbstverpflichtung. Die zusätzlichen Mittel im Hochschulpakt werden doch schon lange durch Tarif- und Kostensteigerungen aufgefressen.

Aufgrund der steigenden Energiekosten werden schon jetzt Kürzungen in den Hochschulhaushalten angekündigt. Die Universität Frankfurt erwägt für 2023 eine Haushaltssperre von mindestens 6 % auf alle Budgets. Deswegen ist es ein zwar reichlich spät gekommenes, aber erst einmal gutes Signal, wenn jetzt, in der Krise, 40 Millionen € für die Hochschulen zur Verfügung stehen sollen. Ob die Mittel aber wirklich ausreichen, um Budgetkürzungen, Bibliotheksschließungen und kalte Hörsäle zu vermeiden, daran würde ich ein großes Fragezeichen machen. Auf jeden Fall muss die Abhängigkeit von Drittmitteln an den Hochschulen dauerhaft reduziert werden, und die Grundfinanzierung muss so auskömmlich gestaltet werden, dass gute Arbeitsbedingungen und die Qualität von Studium und Lehre an allen Hochschulen nicht länger Ausnahmen sind, sondern endlich die Regel werden.

Ich bleibe dabei: Ein derartiger Jubelantrag in einer so schwierigen sozialen Situation der Beschäftigten und Studierenden ist absolut deplatziert. Ja, es gab trotz der Krise bisher keine Verschlechterung in der Hochschulfinanzierung – dafür hat sich die Ministerin in dieser Woche schon gefeiert –; aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, wenn man immer von der Exzellenz und der Qualität der hessischen Hochschulen spricht und sich dafür feiert, dass man keine Verschlechterungen durchsetzt. Finanzieren Sie die Hochschulen ordentlich aus, unterstützen Sie die Studierenden in der Krise, schaffen Sie genug Wohnraum, dann wäre ein Feiern wirklich angebracht.

(Beifall DIE LINKE)