Reden im Landtag

Elisabeth Kula - Ökonomisierung und Militarisierung des Weltalls stoppen

Elisabeth KulaWirtschaft und Arbeit

In seiner 113. Plenarsitzung am 21. September 2022 diskutierte der Hessische Landtag zum Raumfahrstandort Hessen. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste! Der Traum von der Reise zu den Sternen ist fast so alt wie diebMenschheit selbst. Es dauerte jedoch Tausende von Jahren, bis sich der Wunsch erfüllte und die Raumfahrt die Menschheit in ihren Bann zog. Sie ist Sehnsuchtsort, überladen mit romantischen Hoffnungen auf eine bessere Welt irgendwo da draußen, beseelt vom Entdeckergeist, in der Hoffnung auf wissenschaftliche Erkenntnisse über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, woher wir kommen und wohin wir gehen.

Das Genre der Science-Fiction mit ihren großen Film- und Serienfranchises bedient genau diese menschliche Sehnsucht nach dem Unbekannten da draußen, aber auch Ängste mit teilweise dystopischen Zukunftsbildern. Astronauten und Kosmonauten dienen seit Beginn der Raumfahrt als Vermittler zwischen diesem emotionalen Zugang zum Weltraum und der Realität der Raumfahrt. Dass diese Realität nicht selten weit von romantisierten Vorstellungen entfernt ist, liegt auf der Hand. Zu sehr war die Raumfahrt von Beginn an in globale Konflikte eingebunden. Trotzdem bleibt der Zauber seit Jahrzehnten bestehen, und Millionen von Menschen fiebern bei wichtigen Missionen mit, wie beim James-Webb-Weltraumteleskop in diesem Jahr oder auch bei der Rosetta-Mission aus Darmstadt von der ESA.

Dass die Raumfahrt noch nicht entzaubert werden konnte, könnte daran liegen, dass sie trotz aller Konfliktlagen und Konkurrenzen seit dem Kalten Krieg ein Projekt der Kooperation und auch der Völkerverständigung war. Historisch ist es äußerst bemerkenswert, wie 1967 inmitten des Kalten Krieges ein von den USA, der Sowjetunion und über 100 weiteren Staaten ratifizierter Weltraumvertrag entstehen konnte. Dieser erlaubt Raumfahrt nur zum Vorteil aller Länder. Er ist Rechtsgrundlage für all das Treiben im All, wurde oft ergänzt und verbietet die nationale Aneignung des Weltalls.

Der Mondvertrag von 1979 wollte sogar eine Umverteilung organisieren, sodass alle Profite, die sich aus dem Abbau von Bodenschätzen im All ergeben, international hätten geteilt werden müssen. Ende der Siebzigerjahre hatte sich der Zeitgeist in der Raumfahrt aber leider schon wieder geändert, und es kam nicht zur Unterzeichnung des Vertrags – zu lukrativ erschien schon damals die Aussicht auf Profite im Weltall.

Drei Jahrzehnte war die bemannte Raumfahrt vom Wettlauf zwischen dem Ostblock und dem Westen geprägt, ab den Achtzigerjahren vermehrt unter dem Blickwinkel der ökonomischen und militärischen Konkurrenz. Dennoch gab es auch gegenläufige Entwicklungen: 1985 etwa wurde die Vereinigung der Raumfahrer ASE gegründet, vier Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer.

Der ehemalige Präsident der ASE, Dumitru Prunariu aus Rumänien, erinnert sich noch gut an die Anfänge der Organisation im französischen Cernay: „In dieser Zeit waren wir 25 Astronauten und Kosmonauten aus 13 Ländern. Wir waren uns bewusst, dass die Welt sich ändern müsste.“ Die Deutsche Welle hatte es 2013 in einem Artikel auf den Punkt gebracht, in dem sie schreibt: "Die westlichen Astronauten und die östlichen Kosmonauten hatten eines gemeinsam: Sie hatten die Erde schon einmal aus der Ferne betrachtet. Vielleicht hatten sie deshalb auch ein wenig mehr Überblick als andere Erdenbürger."

So prägten nach dem Fall der Sowjetunion vor allem Kooperation und internationale Zusammenarbeit die Raumfahrt: Der Astronaut Reinhold Ewald wurde als Westdeutscher schon ab 1990 auch in Moskau ausgebildet. Sieben Jahre später flog er gemeinsam mit zwei Russen und einem US-Astronauten zur Raumstation Mir. Hans Wilhelm Schlegel, der in seiner Karriere den Umbruch vom Kalten Krieg bis hin zum Sojus- und Mir-Programm und dann zur Internationalen Raumstation erlebt hat, stellte jedenfalls fest: „Die bemannte Raumfahrt hat eine Zukunft, aber nur eine gemeinsame.“

Lange war es tatsächlich so, dass der Wissenstransfer und die Kooperation der zwei großen Raumfahrtnationen USA und Russland unabdingbar wurden, um vor allem bemannte Raumfahrt zu realisieren. Die russische Sojus-Kapsel diente der NASA und der ESA lange als einzige Möglichkeit, Menschen ins All und zurückzubringen.

Das zweifelsfrei weitreichendste Projekt der internationalen Zusammenarbeit im All aber ist die ISS, die Internationale Raumstation. Sie ist die bislang größte und langlebigste Raumstation der Menschheit. Ursprünglich war sie als militärische Station der USA geplant. Zum Glück kam es aber anders, und Bill Clinton verhandelte 1993 gemeinsam mit Russland über eine gemeinsame Neuauflage des Projekts. 1998 schlossen sich dann weitere 19 Länder an. Der Betrieb der ISS ist technisch bis 2030 möglich, und alle Länder verständigten sich auf einen Weiterbetrieb bis dahin.

Ein großer Sprung für die Menschheit und Wissenschaft, vor allem aber ein unübersehbares Zeichen der internationalen Zusammenarbeit in der Raumfahrt. Man könnte meinen, der Geist des Raumfahrtvertrags von 1967 sei zurückgekehrt. Die Station wurde dabei zu einem bedeutenden Instrument der Ost-West-Beziehungen und ein Mittel zum Abbau von Spannungen.

Klar ist aber auch, dass schon damals sicherheitspolitische und ökonomische Interessen bei der Kooperation eine Rolle spielten. Das überdimensionierte Spaceshuttle-Programm der USA war gescheitert, bemannte Raumfahrt sollte effizienter und günstiger werden. Dafür hatten die Russen einfach das Know-how und auch die Infrastruktur.

In den letzten Jahren hat die Raumfahrt eine neue rasante Entwicklung durchgemacht: Unternehmer wie Elon Musk und Richard Branson oder Jeff Bezos verschaffen nun durch private Firmengründungen eine neue Herangehensweise. Sie versprachen der US-Regierung, Weltraumtransporte privat wesentlich effizienter anbieten zu können. Ein elitärer Club der Milliardäre treibt jetzt die Raumfahrt voran.

Seit der Einstellung des Spaceshuttle-Programms im Jahr 2011 war nur noch die russische Weltraumorganisation Roskosmos überhaupt in der Lage, bemannte Missionen zur ISS durchzuführen. Mit SpaceX von Elon Musk ist wieder ein westlicher Anbieter vorhanden. Jeder Platz eines US-Astronauten in einer Sojus-Kapsel kostete die NASA 80 Millionen Dollar, bei SpaceX sind es jetzt nur noch 60 Millionen Dollar. Der Trend zur Privatisierung der Raumfahrt ist also in vollem Gange.

Unter dem Schlagwort New Space haben neu gegründete Firmen seit der Jahrhundertwende die Branche revolutioniert. Anstelle von Großkonzernen haben kleinere Privatfirmen begonnen, die gleichen Dienste deutlich günstiger anzubieten. Das ist ein sehr lukratives Geschäft. Insgesamt soll SpaceX laut dem Magazin „t3n“ mehr als 100 Milliarden Dollar wert sein. Damit wäre SpaceX die zweitwertvollste nicht börsennotierte Firma der Welt.

Mit der Privatisierung gehen aber auch die Ökonomisierung und Militarisierung voran, eine Entwicklung, die man jahrzehntelang zumindest eingehegt hatte. SpaceX arbeitet auch mit Armeen und Geheimdiensten zusammen, z. B. um Spionagesatelliten ins All zu schießen. Auch mit der Bundeswehr gibt es Kooperationen. Die NASA ist im Gegensatz zur ESA auch keine rein zivile Raumfahrtorganisation, und die US-Amerikaner sehen viele militärische Vorteile in der Nutzung der SpaceX-Infrastruktur.

Angesichts der rasanten Entwicklung ist es jetzt nicht verwunderlich, dass die reichsten Menschen der Erde schon viel größere Zukunftspläne haben, wie sie sich das All und dessen Reichtümer unter den Nagel reißen können. Musk will den Mars kolonisieren, Bezos die Schwerindustrie ins All verlagern, alle reden von Space Mining – schließlich warten da draußen viel Gold, Platin und Seltene Erden. Ja, es ist ein neuer Goldrausch entstanden. Die kapitalistische Landnahme beschränkt sich nicht länger nur auf die Erde.

Aber das ist gar nicht so sehr vereinbar mit dem, worauf sich eigentlich die Weltgemeinschaft 1967 in dem Weltraumvertrag verständigt und geeinigt hatte. Selbstverständlich gilt das nicht nur für Staaten, sondern auch für Unternehmen. Ein Beispiel für die Neuausrichtung der Raumfahrt ist das Artemis-Mondprogramm der NASA. Dort heißt es, der Abbau von Bodenschätzen sei keine Aneignung des Weltraums. – Das ist doch vollkommen absurd. Wenn eine Mine auf dem Mond ist und dort Bodenschätze abgebaut werden, ist das selbstverständlich Aneignung des Weltraums.

(Beifall DIE LINKE)

Weil so viele ökonomische Interessen im All auf die Menschheit warten – in einer unendlichen Welt wäre auch unendliches Wachstum möglich –, entwickelt sich die Raumfahrt wieder verstärkt zu einem Konkurrenzprojekt und, ja, auch zu einem geopolitisch schwelenden Konflikt. Die Spannungen, Kriege und Krisen auf der Erde gefährden die internationale Kooperation. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat schwerwiegende Folgen für die Raumfahrt. In der Vergangenheit hat sich Russland immer für die Fortführung der ISS nach 2024 eingesetzt. Jetzt drohen sie damit, das Projekt zu verlassen und somit leider auch zu beerdigen.

Aber auch für die unbemannte Raumfahrt wird es schwieriger: Russland hat mehrere gemeinsame Forschungsmissionen zu Mond und Mars abgesagt. Das Säbelrasseln im Weltall ist gefährlich. Es muss unbedingt verhindert werden, dass es zu einer weiteren Militarisierung des Weltraums kommt; denn die Menschheit profitiert gemeinsam von Exploration und Wissensgewinn, beispielsweise durch wichtige Informationen über den Zustand der Erderwärmung oder den Aufbau von Navigationssystemen.

Entwicklungsperspektiven jenseits der militärischen Nutzung hat die Raumfahrt allemal. Im Jahr 2019 setzte die Raumfahrtbranche nach Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln einen Rekordwert von 366 Milliarden Dollar um. Davon wollen immer mehr Länder etwas abhaben und nicht den USA den Markt des New Space überlassen. So entwickelt sich gerade ein Space Race 2.0, bei dem aber nicht zwei Supermächte konkurrieren, sondern wo eine ganze neue Industrie entsteht, in der auch andere Länder wie Indien, China oder Deutschland gerne mitmischen.

Auch das traditionelle Luft- und Raumfahrtbundesland Hessen will jetzt ein Stück vom Kuchen abhaben, wenn es nach der CDU geht. Es gibt die Hoffnung, mehr mitzumischen als bisher. Denn auch die Raumfahrtindustrie ist hierzulande mittelständisch geprägt. Der Trend weg von gigantischen Großkonzernen hin zu kleineren, spezialisierten Firmen kommt der deutschen Wirtschaftsstruktur sehr entgegen. Deutsche Mittelständler stellen etwa Teile für die Ariane-Raketen her, das wichtigste Arbeitsgerät der Europäischen Weltraumorganisation ESA trotz günstiger Alternativen durch SpaceX.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Kula, das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen.

Elisabeth Kula (DIE LINKE):

Ich komme gleich zum Schluss. – Die Ariane Group z. B. baut in Bremen die Oberstufe der aktuellen Generation der Ariane. Also, Hessen will auch mitmischen. Ich glaube, was als letzter Satz wichtig ist: Wir dürfen die Entwicklung der Raumfahrt nicht dem freien Markt überlassen. Es braucht Grenzen.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Ja, die Planwirtschaft!)

Wir brauchen einen Weltraumvertrag 2.0, um Militarisierung und Ökonomisierung in der Raumfahrt zu beenden. Ich finde es auch interessant,

Vizepräsidentin Karin Müller:

Nein, jetzt finden wir gar nichts mehr interessant, sondern Sie beenden Ihre Rede.

Elisabeth Kula (DIE LINKE):

dass Darth Vader in dieser Debatte seine rassistischen Stereotype verbreitet hat, statt zum Thema zu sprechen.